Schaumburger Zeitung vom 20. Februar 2020

Vor 70 Jahren in Hattendorf

Ein ganzes Dorf packte beim Schulneubau mit an

HATTENDORF. „Es muss gebaut werden!“ Diese in eine Schlagzeile verpackte Forderung lesen die Menschen im Auetal Ende der vierziger Jahre häufig. Aus gutem Grund, denn durch den Zuzug von Flüchtlingen und Vertriebenen steigt die Zahl der Schulkinder in Hattendorf ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs stark an. Da klingt es wie eine Erlösung, als Bürgermeister Heinrich Watermann im Herbst 1949 während einer öffentlichen Zusammenkunft des Gemeinderates kategorisch erklärt: „Es wird gebaut – und wir fangen an!“ Nur ein Jahr später, am 8. Oktober 1950, ist der Schulneubau an der Langenfelder Straße dank der tatkräftigen Mithilfe der gesamten Bevölkerung fertig.

Eine Unterrichtsstunde 1953 im Schulneubau in Hattendorf: Der Junge am zweiten Pult in der Mitte rechts ist Karl hampel, heute Chef des Heimatvereins. Reprows: tw
Eine Unterrichtsstunde 1953 im Schulneubau in Hattendorf: Der Junge am zweiten Pult in der Mitte rechts ist Karl hampel, heute Chef des Heimatvereins. Reprows: tw

Das war vor 70 Jahren. Zur Eröffnung der neuen Saison zeigt der Verein für Heimatpflege Auetal, der in dem Gebäude seit 1984 eine Heimatstube und heute ein Museum unterhält, ab 1. Mai anlässlich des runden Geburtstages eine Sonderausstellung. Dabei will das Museumsteam bis zu 120 Fotos zeigen, das Gros davon Klassenaufnahmen von den Auetaler Schulstandorten aus den Jahren 1899 bis 1974. „Viele Bürgerinnen und Bürger“, freut sich Karl Hampel, Chef des Heimatvereins, „werden sich darauf wiedererkennen.“
Rückblende. Sind es im Kriegsjahr 1944 noch 51 Kinder, die die kleine neben der St.-Eligius-Kirche gelegene Schule besuchen, hat sich ihre Zahl bis 1947 mit 108 mehr als verdoppelt; 1948 erreicht die Schülerzahl durch die Flüchtlings- und Vertriebenenkinder dann mit 148 einen Höchststand. „Um des Andrangs Herr zu werden, ist zu diesem Zeitpunkt bereits eine zweite Lehrkraft eingesetzt worden“, berichtet Hampel.

Richtfest an der Schule Hattendorf 1950: Umgeben von ihren Gesellen stellen sich Zimmermeister Lohmann, Maurermeister Fauth und der Architekt dem Fotografen.
Richtfest an der Schule Hattendorf 1950: Umgeben von ihren Gesellen stellen sich Zimmermeister Lohmann, Maurermeister Fauth und der Architekt dem Fotografen.

Da es in dem Gebäude aber nur einen Schulsaal gibt, muss vor- und nachmittags unterrichtet werden“, so der Chef des Heimatvereins. Dass die Vertriebenen etwa zur gleichen Zeit den benachbarten Konfirmandensaal geräumt hätten, der dadurch für den Schulunterricht frei geworden sei, „ist nur eine Notlösung“, wie Hampel erzählt.

Als dann in der besagten Gemeinderatssitzung der Beschluss für einen Schulneubau fällt, glauben offenbar die wenigsten unter den Bürgervertretern, dass es tatsächlich dazu kommen wird. Doch sie sollen sich täuschen: Denn mittlerweile ist in der Trizone, den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands, die Währungsreform in Kraft getreten. Damit gibt es sowohl Geld als auch Baumaterialien.
Jetzt schlägt Watermanns große Stunde. Der Bürgermeister ruft den Gemeinderat erneut zu einer öffentlichen Sitzung zusammen und verteilt dabei die Hand- und Spanndienste für den Neubau. Hampel: „Ohne irgendwelche Baumaschinen, nur mit Hacke, Schaufel und Spaten bewaffnet, heben Hattendorfer Bürger die 400 Kubikmeter große Baugrube aus und schlagen im Gemeindewald Fichten für den späteren Dachstuhl.“ Währenddessen karren Hattendorfer Bauern mit Pferdefuhrwerken den Aushub fort und holen das Baumaterial heran: Kies und Sand aus Wormsthal und Rinteln, Sandstein vom Bückeberg. „Die Mauersteine“, so der Vereinschef, „kommen von der Ziegelei Krüger aus Borstel sowie der Ziegelei Rohbraken aus Lippe.“ Dabei tun sich zwei der damals noch etwa 20 Vollerwerbslandwirte ganz besonders hervor: Bauer Wilhelm Schwiezer treibt seine beiden alten Klepper zu Höchstleistungen: Sage und schreibe 52 Wagenladungen mit Mauersteinen aus Borstel ziehen die Pferde zur Hattendorfer Baustelle; Bruno Fickendey-Engels senior vom Gut Südhagen will nicht nachstehen, schafft sämtliche Vormauer-Klinker aus Lippe heran. „Noch mehr tut Heinrich Watermann“, sagt Hampel. „An der Schule wird kaum ein Stein verbaut, den er nicht persönlich ablädt.“ Noch in den Nachmittagsstunden wirbt der Bürgermeister aus dem Bus, der Arbeiter aus Lauenau zurück in Auetal bringt, Helfer an. „Danach eilt er dann von Hof zu Hof, um Gespanne für die Transporte zusammenzutreiben“, berichtet Hampel. Summa summarum soll das Engagement Watermanns der Gemeinde am Ende etwa 30 000 Mark sparen helfen– was in der damaligen Zeit eine Menge Geld ist.
Bereits am 28. März 1950 kann der Grundstein für den Schulneubau gelegt werden, am 8. Oktober 1950 ist Einweihung. Damit wird das Gebäude in nicht einmal einem halben Jahr fertiggestellt. „Der Tag der Einweihung wird nicht nur zu einem Festtag für die Gemeinde, er ist auch eine kleine Sensation für das Auetal als Ganzes“, weiß der Vereinschef. In den Ansprachen wird ein ums andere mal die Einsatz- und Opferbereitschaft der Hattendorfer und insbesondere des Bürgermeisters hervorgehoben. Einhellige Meinung: Watermann hat sich mit dem Schulneubau selbst ein Denkmal gesetzt.

Die Sonderausstellung zum 70. Geburtstag der Schule Hattendorf zeigt der Heimatverein Auetal im alten Schulgebäude, Langenfelder Straße 47, 31749 Auetal-Hattendorf, zwischen dem 1. Mai und dem 31. Oktober.

Öffnungszeiten: jeden ersten und dritten. Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr oder nach Vereinbarung. Telefon (0 57 52) 600. Der Eintritt ist frei.

Autor:
THOMAS WÜNSCHE