Schaumburger Zeitung vom 05. Februar 2021

Zwei Abaki im Bestand

Heimatmuseum besitzt älteste Rechenhilfe der Welt

HATTENDORF. Der „Abakus“ ist eines der ältesten bekannten Rechenhilfsmittel und war zwischen 2700 und 2300 v. Chr. vermutlich eine Erfindung der Sumerer. Dies und weitere Rechenhilfsmittel hat das Hattendorfer Heimatmuseum im Bestand.

HATTENDORF. So alt ist das Exemplar, das im Klassenzimmer des Heimatmuseums in Hattendorf direkt vor dem Katheder steht zwar bei Weitem nicht, aber Karl Hampel glaubt, dass Schüler mit dem Auetaler Abakus noch in den 40er Jahren einfache Grundrechenarten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division erlernt haben. Fest steht: „Dieses Rechenbrett gehörte damals zur festen Ausstattung der Grundschule, die seit 1984 Museum ist“, weiß der Leiter. Hampel: „Abaki wie der unsrige wurden in der Regel vom ortsansässigen Tischler gefertigt.“ Dafür spricht, dass sich auf dem braun lackierten Holzrahmen des Hattendorfer Exemplars kein Herstellername findet, wie das bei industriell gefertigten Abaki die Regel ist.

Einst vom ortsansässigen Tischler gefertigt: Karl Hampel präsentiert das „Abakus“-Rechenbrett im Klassenzimmer des Heimatmuseums in Hattendorf. Foto: tw
Einst vom ortsansässigen Tischler gefertigt: Karl Hampel präsentiert das „Abakus“-Rechenbrett im Klassenzimmer des Heimatmuseums in Hattendorf. Foto: tw

„In den Rahmen sind bei unserem Rechenbrett zehn Drähte eingespannt, von denen jeder Draht fünf weiße und fünf rote Kugeln trägt. Gerechnet werden kann also mit bis zu 100 Kugeln“, erklärt der Museumsleiter. Multiplikation und Division werden wie bei der Benutzung mechanischer Rechenmaschinen nach den Methoden des schriftlichen Rechnens auf mehrfache Addition oder Subtraktion zurückgeführt. Das funktioniert, indem durch Addieren positiver oder negativer Zahlen jeweils unmittelbar die neue Summe als Ergebnis eingestellt wird. Beim Erlernen der Fähigkeit, mit dem Abakus zu rechnen, geht es daher im Prinzip darum, für jede Ausgangszahl (0 bis 9) zu lernen, wie jede zu addierende oder zu subtrahierende Zahl eingestellt wird.

Wenn durch fleißiges Üben sozusagen ohne Nachdenken die Finger selbst „wissen“, was sie zu tun haben, können die Zahlen am Abakus viel flinker eingestellt werden als bei einem elektronischen Taschenrechner. Allerdings wird Zeit nur bei der Addition und Subtraktion gespart, nicht jedoch beim Ziehen von Quadrat- und Kubikwurzeln, was mit dem Abakus ebenfalls möglich ist – wobei Letzteres die Auetaler Grundschüler mit Sicherheit überfordert hätte.

Diesen russischen Abakus, genannt „Stschoty“, brachte Ehrenvorsitzender Jörg Landmann von einer Reise aus Moskau mit. Foto: tw
Diesen russischen Abakus, genannt „Stschoty“, brachte Ehrenvorsitzender Jörg Landmann von einer Reise aus Moskau mit. Foto: tw

„Neben dem großen Abakus, der in ein Standgestell eingespannt ist, haben wir im Museum auch noch ein ,russisches’ Exemplar“, berichtet Hampel. Dieser wurde allerdings nicht im Unterricht an Auetaler Schulen verwendet, sondern ihn brachte Jörg Landmann, Ehrenvorsitzender des Vereins und langjähriger Schulleiter, von einer Reise aus Moskau mit. Beim „Stschoty“, wie dieser Abakus nach dem russischen Wort für Rechnung genannt wird, stellen die Kugeln oder Rechensteine durch ihre Lage eine bestimmte Zahl dar, das heißt, es wird ein Stellenwertsystem zugrunde gelegt. Der Stschoty kennt nicht die Einteilung anderer Länder, bei welcher ein Teil derjenigen Kugeln abgetrennt ist, die normalerweise den fünffachen Wert haben.

Doch wie auch immer: Der Abakus als solcher hat eine lange Geschichte. Die Babyloner übernahmen das Rechenbrett von den Sumerern und übersetzten es ins Dezimalsystem. Um 2000 v. Chr. kam es zu einem tief greifenden Wandel: Die Babyloner begannen nun die Zahlen direkt auf Tontafeln zu schreiben, Zwischenergebnisse konnten nach jeder Operation gelöscht und wieder neu geschrieben werden. Mit der Zeit wurden die weichen Tontafeln durch harte Oberflächen wie Stein oder Metall ersetzt und die Ziffern in aufgestreuten Sand eingraviert. Über den Handel verbreitete sich der Abakus von Babylonien nach Indien, Persien und in den Mittelmeerraum.

In China wurde im sechsten Jahrhundert erstmals eine „Perlenrechnung“, erwähnt. Die Japaner übernahmen um etwa 1600 n. Chr. herum den Abakus von den Chinesen und vereinfachten ihn. Im Mittelalter war der Abakus weit verbreitet und wurde von den Menschen bis ins 17. Jahrhundert hinein benutzt. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde der Abakus durch die mechanischen Rechenmaschinen verdrängt; er ist aber als Rechenhilfsmittel für Blinde noch heute in Gebrauch. In Asien und Osteuropa wird er ab und an noch als billige Rechenmaschine bei kleinen Geschäften eingesetzt.

 

Übrigens: Die Art und Weise, wie die Chinesen mit dem Abakus rechnen, wurde 2013 zur Repräsentativen UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit hinzugefügt.

Autor:

THOMAS WÜNSCHE