Schaumburger Zeitung von Donnerstag 13. März 2014
Auf in die neue Welt
Wer wissen möchte, ob seine Vorfahren ausgewandert sind, kann am 1. Mai im Museum nachfragen
Auetal. Das Buch, für das 1872 auf der ersten Seite des Kreis Blatts für die Grafschaft Schaumburg geworben wird, heißt „Handbuch für Auswanderer nach Amerika“, und es verspricht Hilfe und Tipps, weil es nach „Erfahrungen geschrieben“ wurde, und eine kleine Zugabe gibt es auch: „nebst Anleitung zum schnellen Erlernen der englischen Sprache.“
Denn die meisten der Menschen, die im 19. Jahrhundert in Richtung Amerika reisen und ein neues, besseres Leben suchen, werden dort erst einmal Probleme zu überwinden haben: Ein fremdes Land, eine fremde Sprache, keine Wohnung, von einem Haus ganz zu schweigen. Angelika Schierhölter aus Schaumburg hat sich mit diesen Auswanderern schon lange Zeit beschäftigt und weiß, wie manche von ihnen nach der Ankunft lebten: „In Erdhöhlen.“ Und: „Natürlich gab es in Amerika auch noch viele Spitzbuben, die sich bei den neu Angekommenen als Helfer ausgaben und sie dann um ihr Hab und Gut brachten.“
Es war wie ein Fieber, das um sich griff: Amerika, dieses mythenumschlungene Land der großen und nur vom Horizont begrenzten Freiheit, entwickelte sich im 19. Jahrhundert zum weitaus beliebtesten Ziel deutscher Einwanderer. Hier gab es zu viele Einwohner und zu wenig Arbeit, dort lockte ein schnell aufstrebendes Industrieland mit eben diesen Arbeitsplätzen. Darüber hinaus übte die Neue Welt eine starke Anziehungskraft vor allem auf junge Menschen aus. Ihr Wissensstand war oft spärlich, umso fantasievoller stellten sich viele eine „goldene Zukunft“ in Amerika vor. Zwischen 1820 und 1930 ließen sich dort rund 90 Prozent der rund sechs Millionen deutschen Immigranten nieder. Gründe, um den deutschen Boden an den Füßen abzuschütteln und die mühsame Überfahrt vorzunehmen, gab es viele: Kleinbauern, Gewerbetreibende und Handwerker litten unter misslichen wirtschaftlichen Verhältnissen, Schmalhans war bei ihnen Küchenmeister, und kamen noch Ernteausfälle und Teuerungskrise dazu, wurden die Verhältnisse dramatisch schlecht.
Dazu kam das rasche Bevölkerungswachstum – eine Entwicklung, die auf eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion und eine durch verbesserte medizinische Betreuung gesunkene Sterberate zurückzuführen war. Aufgrund der Gewerbefreiheit waren zahlreiche Handwerksberufe überbesetzt, insbesondere in der Textilindustrie. Viele Kleinbauern und Handwerker mussten sich als Taglöhner oder Saisonarbeiter verdingen.
Auch wenn die Auetaler Auswanderer ein noch zu schreibendes Kapitel der Geschichte sind, so sind immerhin die Bedingungen bekannt, unter denen sie damals über den großen Teich in die noch so jungen USA schipperten. Denn vor zehn Jahren stach das Auswandererschiff in See: 37 Männer, Frauen und Kinder setzen zu einer Atlantiküberquerung wie vor 200 Jahren an. Ihr Ziel: die Neue Welt New York. 68 Tage waren Besatzung und Passagiere unterwegs. An Bord des Segelschiffes „Bremen“ gab es kein fließendes Wasser, keinen Strom, keine Heizung, gegessen wurden Pökelfleisch und Schiffszwieback. Die Passagiere lernten die harte Arbeit der Matrosen kennen, das einfache Leben auf engstem Raum, karge Kost und ungewohnte hygienische Verhältnisse. Entbehrungsreich trotzten Mann und Maus der Hitze Nordafrikas und dem nasskalten Nordatlantik. 52 Tage waren ursprünglich für die Überquerung angesetzt. Daraus wurden – bedingt durch Wind und Wetter – über zwei Monate. Damals mit an Bord: die Familie Schneider aus Krainhagen.
Angelika Schierhölter hat sich viel mit Auswanderern befasst, seit Jahrzehnten forscht sie in den einschlägigen Archiven und in der Literatur. Aus dem Auetal kamen viele Auswanderwillige aus Escher und Rannenberg, vielleicht, so vermutet sie, haben sie sich ein neues Leben gesucht, weil sie hier keine Perspektive fanden, etwa, weil der älteste Sohn den Hof geerbt hatte und sie selbst dann sehen mussten, wo sie blieben.
Am 1. Mai wird das Auetaler Heimatmuseum die neue, die Jubiläumssaison eröffnen. Angelika Schierhölter wird dann mit einer Menge Büchern und Belegen im Museum anzutreffen sein. Jeder, der selbst ein bisschen Ahnenforschung betreiben oder wissen möchte, ob die Namen der Vorfahren auf den verschiedenen Listen zu finden sind, der kann sie an diesem Tag fragen. Denn wer auswandern wollte, der musste sich abmelden, sein Name wurde dann veröffentlicht.
Übrigens: Nach 1890 spielte die Amerikaauswanderung reichsweit keine große Rolle mehr – wegen der fortgeschrittenen Industrialisierung gab es mehr Arbeitsplätze.
VON FRANK WESTERMANN